
Wolf Graf von Baudissin,
ca. 1980 (© IFSH)
|
Zum Denkstil und zum "Programm" von
Wolf Graf von Baudissin
(1907-1993)
Notizen auf
Grund regelmaehssiger
Besuche in den
Jahren 1972-91 [15]
Ueberarbeitete
Fassung mit Nachtraegen, 10. Februar 2008 [14]
Vorbemerkung
: Der folgende Text ist eine wichtige Ergaenzung zum
Wikipedia-Artikel, weil er aus persoenlicher Kenntnis des Autors
Hintergruende des Denkens von Graf Baudissin darstellt, wie es ein
Lexikon-Artikel seiner Natur nach nicht kann. Auch die fachlichen
Aufsaetze von und ueber Baudissin machen die folgende Darstellung nicht
ueberfluessig.
Zur ersten Uebersicht siehe die tabellarische Kurzbiographie von Wolf Graf von
Baudissin
(mit Foto aus den 1950er Jahren). Vgl. auch den Artikel in der Wikipedia mit weiteren Links.
Der Name Baudissin leitet sich von dem der Stadt
Bautzen ab, wo seine Vorfahren
Burggrafen gewesen waren. Einer dieser Vorfahren, Wolf (Heinrich) Graf von Baudissin (1789-1878),
war ein
bekannter Shakespeare Uebersetzer nach 1830.
Ein Onkel, ebenfalls mit Vornamen Wolf, Wolf (Ernst Hugo Emil) Graf von Baudissin (1867-1926),
war ein um 1900
viel gelesener Autor, der unter
dem Namen "Freiherr von Schlicht" humorige, aber nicht unkritische
Skizzen und Romane, besonders auch aus dem militaerischen Milieu
schrieb. Es gab auch einen bedeutenden Theologen unter den Verwandten
Baudissins, Wolf Wilhelm Friedrich Graf von Baudissin (1847-1926),
der 1912/13 Rektor der
Humboldt-Universitaet in Berlin war. Wieweit diese
bekannten Verwandten
Baudissin schon als Kind und
Jugendlichen beeinflusst haben, ist nicht belegt, aber sicher erklaeren
sie einiges von seinem starken Ego und von seiner inneren
Unabhaengigkeit gegenueber dem Militaer. Denn diese bekannten
Baudissins waren ja Zivilisten. Weshalb haette er also das Militaer
bewundern sollen ?
Baudissin ist am 8.5.1907 als Sohn eines preussischen Landrats [1] in
Trier
geboren, verbrachte aber seine Schuljahre in Neustadt in
West-Preussen, wohin sein Vater bald nach Geburt des
einzigen Kindes versetzt worden
war. [2]
Nach dem Abitur studierte Baudissin in Berlin zwei Semester Jura,
Oekonomie und
Geschichte in der Absicht, Zivil-Beamter wie sein Vater zu werden. Als
dieser aus politischen Gruenden entlassen wurde, ging Baudissin, vom
Staat enttaeuscht, zur Reichswehr. Nach kurzer Militaerzeit (April 1926
bis September 1927) bereitete er
sich
darauf vor, ein
von Verwandten muetterlicherseits (v.Borcke) geerbtes Gut in Holstein
zu
uebernehmen. Zu dem Zwecke studierte er noch landwirtschaftliche
Betriebslehre bis zum Abschluss als staatlich gepruefter Landwirt 1930.
Als das Gut aber wegen der damaligen Wirtschaftslage verkauft werden
musste, ging er im Oktober 1930 zur
Reichswehr zurueck, ab 1932 zum IR-9
in Potsdam. Die militaerische Laufbahn war also nicht Baudissins
urspruengliche Absicht.
Eine gute Uebersicht ueber den eigenen Lebenslauf gibt Baudissin selbst
in seiner Abschiedsvorlesung als Gruendungs-Direktor des "Hamburger
Instituts fuer Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der
Universität Hamburg". (IFSH) vom 18. Juni
1986. [3] Dort
sagt
er auch, dass "rote" Matrosen vom nahen Seefliegerhorst das Haus der
Eltern 1918 unmittelbar nach dem Kriege vor Pluenderung retteten, und
so
erlebte er als 11 Jaehriger "dass 'rot' nicht gleich 'boese' sein
muss." Weiter sagt er, dass durch diese Erlebnisse sein Interesse
fuer differenzierte politische Zusammenhange geweckt worden sei, und
dass er auch darum Geschichte studiert und in der
neuen Bundeswehr im "Amt Blank"
fuer die Offiziersanwaerter ein Studium Generale gefordert habe.
Woertlich : "Dabei ging es mir in erster Linie nicht um den Unterricht
fuer Mannschaften, sondern um den fuer Offiziere und Feldwebel. Werden
die Fuehrer mit Konsequenz in Stoff und Methodik dieses (politischen
Unterrichts) laufend eingewiesen, bereitet der Unterricht in den
Einheiten keine Schwierigkeiten, waehrend politisch ungebildete
Vorgesetzte in politischen Krisen hilflos und unglaubwuerdig reagieren."
Obwohl Baudissin wie die meisten Offiziere der Wehrmacht grundsaetzlich
loyal zur Weimarer Republik stand, wurde er schon bald mit dem Unrecht
der Nazis konfrontiert. Ein entscheidendes Erlebnis war die "Fritsch-Blomberg-Affaere" von
Anfang Februar 1938 : Der Kriegsminister von Blomberg und der
Chef des Heeres von Fritsch wurden unter ehrenruehrigen Beschuldigungen
ihrer Aemter enthoben noch bevor der Fall gerichtlich geklaert war.
Hintergrund war, dass beide Hitlers Angriffsplaenen im Wege standen,
weil sie diese fuer uebereilt hielten. Die niedertraechtige Art des
Vorgehens der Nazis, und die
Feigheit, mit der das Militaer diese Beleidigungen hinnahm,
veranlasste Baudissin und Henning von Tresckow, bei ihrem
Vorgesetzten, General Erwin von Witzleben,
um Entlassung aus dem Dienst zu bitten. Von Witzleben, der spaeter als
Mitwisser der Verschwoerung vom
20.Juli 1944
hingerichtet wurde, fragte
rundheraus, ob sie zum Widerstand nicht mehr bereit seien, und
riet ihnen, bei der Reichswehr
zu bleiben, weil sie nur so ueberhaupt die Chance haetten, im guten
Sinne auf die Ereignisse Einfluss zu nehmen. Ein altes Dilemma.
Tresckow als ein
Hauptbeteiligter der Verschwoerung, brachte sich nach dem Scheitern
selbst um. [4]
Baudissin
war gluecklicherweise in englischer
Gefangenschaft dem Zugriff der wuetenden Nazis entzogen. Seine spaetere
Frau, die er damals schon von gesellschaftlichen Veranstaltungen
in Berlin her kannte, war mit fuehrenden Widerstaendlern in Berlin - von
Hassell, von Trott, ua. - befreundet. Man war sich einig
in der Verurteilung Hitlers,
redete aber natuerlich
nicht offen ueber geplante Aktionen. [5]
In diese Zeit der Unsicherheit von 1941 bis zur Entlassung Baudissins
aus englischer Gefangenschaft am
7.7.1947 fallen die unter [3] erwaehnten Briefe. Im August 1947
wurden Baudissins kirchlich getraut.
Zur ersten Nachkriegszeit lasse ich wieder Baudissin selbst zu Wort
kommen (aus [3], S.265) : // Mit der Entlassung aus der
Gefangenschaft und damit aus dem Dienst begann ein in jeder Hinsicht
neues Leben. Ich konnte unter die Fittiche meiner Frau, einer bekannten
Bildhauerin [6]
fluechten, und zusammen mit ihr eine "zwei Mann"-Werkstatt fuer Keramik
aufbauen. Es waren glueckliche produktive Jahre weitgehender
Selbstaendigkeit, waehrend denen ich mich nebenher in der evangelischen
Gemeinde betaetigte und Gelegenheit erhielt, im Auftrag der Kirchen und
Gewerkschaften Kurse ueber Menschenfuehrung im Bergbau abzuhalten.
Dabei lernte ich viel, was mir spaeter beim Konzept der "Inneren
Fuehrung" zugute kam. Eines wurde mir besonders klar : Wie sehr
die Qualitaet der Menschenfuehrung und des Betriebsklimas von der
permanenten Weiterbildung des Fuehrungspersonals abhaengt. Ich erlebte
handgreiflich, dass die meisten Ungeschicklichkeiten und Pannen des
Alltags nicht aus boesem Willen oder Nachlaessigkeit, sondern aus
Hilflosigkeit passieren. //
Baudissins lebten damals auf Schloss Cappenberg bei Luenen, wo sie in
einem grohssen Gartenhaus ihre Wohnung und ihr Atelier fuer die
Toepferei hatten. Von dort fuhr Baudissin also nach Luenen oder
Dortmund zu den oben erwaehnten Kontakten mit Bergbau und
Gewerkschaften. Dann bittet im Sommer 1950 ein ehemaliger Kamerad aus
dem IR-9 (Axel von dem Bussche) Baudissin im Auftrag Adenauers, zur
Vorbereitung einer neu aufzubauenden Bundeswehr an einer Tagung
im Kloster Himmerod in der Eifel teilzunehmen. Das Weitere gehoert zur
Geschichte der Bundeswehr
und muss hier nicht wiederholt werden.
Wichtig ist aber, was Baudissin in seiner Hamburger Abschiedsrede 1986
dazu sagt
(sinngemaehss nach [3] S.267) : Sehr bald bildeten sich zwei
Fronten, wie sie in der einen oder anderen Form bis heute (=1986)
in der Bundeswehr bestehen : Fuer die
eine
Seite ging es um eine moeglichst baldige Wiederherstellung der
Verteidigungsbereitschaft gegen den stalinistischen Osten, also den
inzwischen (1955) gegen die NATO aufgebauten Warschauer
Pakt, und zwar unter
direkter Anknuepfung an die Erfahrungen und an das noch verfuegbare
Personal der ehemaligen Reichswehr und speziell derer, die an der
Ostfront gekaempft hatten. Fuer die andere Seite - zu der auch
Baudissin selbst gehoerte - ging es um eine bewusste Abkehr von dieser
Vergangenheit, um eine voellige Neugruendung der Bundeswehr aus einem
anderen Geist "ohne Anlehnung an die Wehrmacht", wie es in der
Himmeroder Denkschrift ausdruecklich heisst. Baudissin begruendet seine
Position so (aaO, S.267, woertlich) : // Prinzipiell bewegten
mich (B.) die Erfahrungen der Zeit zwischen 1933 und 1945. Es hatte
sich gezeigt, dass die herkoemmlichen soldatischen Wertvorstellungen,
Normen
und Verfahren den Lockungen und Drohungen des Unrechtssystems nicht
gewachsen waren. ... Das Gefuehl, mitverantwortlich zu sein bei der
Ausfuehrung oder Duldung eindeutig verbrecherischer Befehle, hatte sich
mit wenig einleuchtenden Entschuldigungen betaeuben lassen. Die
"soldatischen Tugenden" hatten nicht vor falschen Kompromissen bewahrt;
sie hatten sie sogar gerechtfertigt. ... Hier mussten neue
Wertvorstellungen wachsen, ... um ... die Soldaten ... zu vollwertigen
Staatsbuergern
werden zu lassen. (Und dann: ) Die Realitaet des Kernwaffenzeitalters
war in
Betracht zu ziehen. Hatte in der Vergangenheit die erwartete Bewaehrung
vor dem Feinde das Selbstverstaendnis ... des Militaers bestimmt, so
konnte dies heute nur eine Kriegsverhuetungs-, d.h.
Abschreckungsfunktion ... tun. Dabei war auf jede Art von Sieg bewusst
zu verzichten. Streben nach Sieg zwingt zu politisch unheilvoller
Eskalation, welche die Wiederherstellung des Nicht-Krieges verzoegert,
wenn nicht gar verhindert. Dieser Denkansatz hat ganz erhebliche
ethisch-politische Konsequenzen fuer den Soldaten, ..., aber auch fuer
das Verhaeltnis zwischen Gesellschaft und Militaer. Auch darf nicht
uebersehen werden, dass die neuen Funktionsanforderungen die
Leistungsfaehigkeit der Streitkraefte von Mittel und Kleinstaaten ...
uebersteigen. Das zwingt zu ihrer (d.i., der Streitkraefte)
weitgehenden Integrierung in das Buendnis ... - spaetestens fuer den
Ernstfall der
Krisensteuerung. Die Folge ist, dass es (im militaerischen Bereich)
Souveraenitaet im klassischen Sinne nicht mehr geben kann; das
Festhalten an ihren Regeln belastet
die internationale Kooperation auf allen Gebieten. //
Dieser Auszug aus der Abschiedsrede Graf Baudissins von 1986 erklaert
nicht nur seinen Dauerkonflikt "mit der anderen Seite der Front"
innerhalb der Bundeswehr, er erklaert auch die Titel "Soldat fuer den
Frieden" und "Nie wieder Sieg
!" fuer zwei wichtige Sammlungen von Aufsaetzen [7] , und er
erklaert sein Kopfschuetteln ueber die Politik de Gaulles, der die
NATO-Zentrale SHAPE aus Frankreich (nach Bruessel) verbannte und sich
auf eine eigene "Force de Frappe"
mit Atomwaffen stuetzen wollte. Fuer
Baudissin war das unsinnig, weil Frankreich als Mittelmacht so oder so
auf den "Atomschirm" der USA angewiesen blieb. Das Beispiel Frankreich
bildete den Hintergrund fuer das, was er in seiner Rede anspricht.
Man erkennt aus der Rede, wieviel Umdenken von vielen "Altgedienten"
gefordert wurde, und warum die Spannungen innerhalb der Bundeswehr noch
jahrzehntelang angehalten haben. Dass Baudissin und seine Mitstreiter
(von Kielmansegg, de Maiziere, ua.) sich am Ende durchsetzen
konnten, verdankten sie wesentlich der im In- und Ausland nach dem
Kriege verbreiteten Abneigung gegen jede
Form von deutscher Wiederbewaffnung. Damit standen die Politiker - auch
die der CDU - scheinbar
vor der Wahl, entweder eine demokratische und
buendnisfaehige oder garkeine Bundeswehr zu bekommen. Tatsaechlich war
das Interesse der USA
an einem raschen deutschen Wehrbeitrag nach Ausbruch des Korea-Krieges
hinreichend grohss, um jedem Reichswehr-Offizier, der als Fachmann
bewaehrt und nicht gerade schwer belastet war, eine Rueckkehr in die
Bundeswehr zu ermoeglichen. Zwischen (nicht nur) Baudissins Wunsch nach
einer modern gefuehrten und demokratisch legitimierten Bundeswehr und
dem Druck der USA auf schnell vorzeigbare Ergebnisse entstand also ein
Dilemma.
Konservative Militaers haben Baudissin oft vorgeworfen, weltfremd zu
sein, "weil er nicht an der Ostfront gedient habe". Baudissin war
tatsaechlich seit 1941 in
englischer Gefangenschaft bei Sydney. Ausserdem habe er wegen
fehlender Praxis keinen
realistischen Begriff davon, in welchem Mahsse "der gemeine Soldat ein
Sauhaufen" ist. In einer Studentenzeitung erschien er daher 1961 als
"Graf
Hautnichin". Damals waren zwar der "Staatsbürger in Uniform" und die "Innere Führung" schon allbekannte
Schlagwoerter, aber die Widerstaende gegen das neue Konzept waren bei
den kriegserfahrenen
Altgedienten - ohne die auch die Bundeswehr ja nicht auskam - aus den
oben
angedeuteten Gruenden teilweise grohss.
Um zu verstehen, was Baudissin wollte, muss man ihn im Zusammenhang mit
Immanuel Kant, Karl
Freiherr vom Stein, und
Carl von Clausewitz sehen. Kant ermutigte als Aufklaerer
die
Menschen zum Gebrauch des eigenen Verstandes gegen
Vormuender aller Art ( "Was ist Aufklarung?", 1784). Stein forderte
den fuer "seinen" Staat verantwortlich mitdenkenden Staatsbuerger
anstelle des nur gehorsamen Untertans. Es passt dazu, dass Baudissin
1965 zusammmen mit seinen wichtigsten Mitstreitern, den Generalen Johann Adolf Graf von Kielmansegg und Ulrich de Maiziere der "Freiherr vom Stein
Preis" verliehen wurde. Clausewitz unterstellte das Militaer absolut
der Politik, so dass eine Armee als Staat im Staate abzulehnen war.
Baudissin machte die preussische Armeefuehrung fuer die Machtuebernahme
der Nazis mitverantwortlich, weil die Armee ueberwiegend a-politisch
oder auch autoritaer anti-demokratisch gestimmt war und sich weitgehend
ausserhalb des Staates der "Weimarer Republik" verstand. Nichts gegen den
"Geist der Truppe", nur muss dieser aus dem Wunsch
erwachsen, die Demokratie zu verteidigen, nie aber aus dem Wunsch,
vermeintlich hoehere Werte der Armee gegen die "dummen
Zivilisten" zu kultivieren. Das Militaer hat eine dienende Funktion und
ist kein Tummelplatz fuer Leute, die mit dem zivilen Leben nicht klar
kommen. Wie
es Bundespraesident
Gustav Heinemann ganz im Sinne von Baudissin
formulierte : "Der Friede ist der Ernstfall !" Baudissin war
daher bei Generalen wie Videla in Argentinien oder Pinochet in Chile und bei anderen
"Caudillos"
verhasst, deren Vorbild
Francisco Franco war.
Dagegen war in den USA das Prinzip des absoluten Vorranges der
Zivilfuehrung immer anerkannt. Dass die USA eine Berufs- oder
Kaderarmee haben,
widerspricht dem nicht, denn der Treueid ("Treueid der USA", siehe auch die
amerikanische Version "pledge of allegiance") verpflichtet alle
Buerger der USA zum Wehrdienst, sofern sie dazu
aufgefordert werden. Insofern gilt in den USA das Konzept vom
Staatsbürger in Uniform seit dem Unabhaengigkeitskrieg von 1775.
Besonders anschaulich ist dieses Konzept in der Verfassung der Schweiz
verwirklicht, wo jeder Bürger seine Uniform und sein Gewehr im
Schrank hat.
Die Formulierung
"Clausewitz unterstellte das Militaer absolut
der Politik" ist auslegungsbeduerftig, weil natuerlich weder Clausewitz
noch Baudissin die Armee als Instrument in der Hand von Verbrechern
oder Diktatoren sehen wollten. Diese herrschen aber auch nicht ueber
"Staatsbuerger" im Verstaendnis von Clausewitz oder Baudissin oder den
Vaetern der Verfassung der USA. Man muss also erst den Staatsbuerger
und danach die Uniform sehen, damit das Bild stimmt. Die "dummen
Zivilisten" koennen ja auch Politiker sein. Ich fuehre das hier nicht
aus.
Um die Einbindung des Militaers in die Demokratie
zu foerdern, wurde schon frueh (1956) ein
"Wehrbeauftragter" als
Vermittler zwischen dem zivilen Staat und der Armee
eingeführt, der die Soldaten zur Verteidigung ihrer
staatsbuergerlichen Rechte gegen eventuelle militaerische Schikanen
ermutigen, der aber auch dem Bundestag ueber Fehlentwicklungen und
Missstaende in der Bundeswehr berichten sollte. Den absoluten Vorrang
der zivilen
vor der militaerischen Fuehrung galt es zu verteidigen.
Baudissin war daher auch gegen eine reine
Berufsarmee,
weil diese wieder aus dem politischen Gemeinwesen aller
Staatsbürger herausgelöst ist, also nicht zur Idee vom
Staatsbürger in Uniform passt. Er hätte aber wohl akzeptiert,
dass man heute Europa auch "am Hindukush" verteidigt, sofern das
Parlament dies als Aufgabe sieht. Die Bindung an das zivile Parlament
wäre dabei wichtig gewesen. Das war auch die Sicht der USA
oder der Schweiz. Im gleichen Sinne hat er in einer
"Doppelpunkt"-Sendung des ZDF 1991 den "Zweiten
Golfkrieg" der
alliierten Truppen
unter General Schwarzkopf gegen die Besetzung Kuwaits durch Saddam
Hussein verteidigt. Ob er den
Irak-Krieg von 2003 verteidigt haette, ist fraglich. Seine Position
waere wohl die von
Colin Powell und George F. Kennan gewesen : Dieser Krieg
sei zu wenig legitimiert und zu wenig durchdacht. Aber er haette sich
nicht
leicht
getan. Auch er wusste aus der Erfahrung mit den Nazis, was eine
Diktatur ist, die die besten Menschen eines
Landes vertreibt oder
umbringt oder
korrumpiert. Er haette nach der vernuenftigsten Loesung gesucht, aber
dazu gesagt : "Man kann nicht 'fuer das Gute' sein. So etwas gibt es
nicht." Eine Formel wie "Kein Blut fuer Oel !" haette er
als viel zu simpel abgelehnt.
Baudissin galt wegen seiner offenen Unterstuetzung fuer
Willy Brandt 1969 als "links", was er aber nicht mehr war
als etwa Helmut Schmidt, dessen Nachruestungsplaene
1982 er unterstuetzte (s. "NATO-Doppelbeschluss" ). Baudissin lehnte es
ueberhaupt ab, als "links"
eingeordnet zu werden. Dass er sich fuer die SPD einsetzte, hatte einen
ganz einfachen Grund : Alle Buerger eines Staates sollten sich im Sinne
des Freiherrn vom Stein fuer "ihren" Staat mitverantwortlich fuehlen,
und es ging daher einfach nicht an, dass die Adenauer-CDU zusammen mit
allen adligen und christlichen Konservativen sich
einen politischen Alleinvertretungsanspruch anmahsste, wonach die
"linke" Haelfte der Bevölkerung fuer politisch
unmündig zu erklären war. Das ist
jetzt zugespitzt formuliert, aber in der Aera Adenauer war es doch die
vorherrschende Stimmung. Man traute sozusagen der SPD immer schon den
"Kniefall von Warschau" und den "Ausverkauf der deutschen Ostgebiete"
und eine "falsche Anbiederung an die DDR" zu. Daher auch die
Wahlparolen der Adenauer-CDU "Alle Wege fuehren nach
Moskau" und "Keine
Experimente !". Dem widerspricht nicht, dass es schon vor dem
"Machtwechsel" von 1969 zur SPD-FDP (Brandt-Scheel) Koalition
Unterstuetzung auch bei CDU und CSU fuer die Reform der Bundeswehr gab.
Ebenfalls zur
Foerderung des demokratischen Geistes trat Baudissin
1966
demonstrativ der Gewerkschaft ÖTV bei, als einige Soldaten
wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gewerkschaft aus der
Bundeswehr entlassen werden
sollten. Das war nur folgerichtig : Wenn es mit der Rolle des
Staatsbuergers in Zivil vereinbar ist, einer Gewerkschaft
anzugehoeren,
dann ist es (jedenfalls im Grundsatz) automatisch auch mit der Rolle
eines Staatsbuergers in Uniform vereinbar (vgl. [7] "Soldat
fuer den Frieden", S.314). Es gibt in der
Bundeswehr
nur wenige und genau festgelegte Ausnahmen von dieser Regel.
Entsprechendes galt fuer die Mitgliedschaft eines Generals in der SPD,
der er daher 1968 beitrat, um sie fuer einige unsichere Konservative
wählbarer zu machen. Hier kam hinzu, dass er der SPD hoch
anrechnete, sich dem "Ermächtigungsgesetz" Hitlers 1933
verweigert zu haben.
Man kann sich heute (2007), nach drei SPD-Regierungen (Willy Brandt
1969-74, Helmut Schmidt 1974-82, und Gerhard Schroeder 1998-2005)
kaum noch vorstellen, wie tief die Angst und der Hass gegen alles Linke
bei vielen Konservativen bis in die 1970er Jahre noch verinnerlicht
waren. [8]
Graf Baudissin hat - ebenso wie Graefin Doenhoff von der ZEIT - die
Ost-Politik von
Willy Brandt unterstuetzt, weil er sie fuer weiterfuehrend und
realistisch,
nicht weil er sie fuer "links" hielt. Fuer ihn waren die Gegner Brandts
"ewig Gestrige". [9]
Ihm waren die deutschen Konservativen auf ihrem Weg in die moderne Welt
oft zu
langsam - und manche liess er das spueren. Er war daher bei vielen
Konservativen nicht
beliebt. Aber das heisst nicht, dass er "links" war.
In der Bundesrepublik
wurde Graf Baudissin vor allem als der "Erfinder" des
"Staatsbuegers in Uniform" wahrgenommen. Fuer ihn selbst war das nur
eine wichtige Episode in den gut elf Jahren von der Tagung in Himmerod
im Oktober 1950 bis zur Verabschiedung zur NATO (Paris-Fontainebleau)
im November 1961. Die restlichen 30 Jahre seines Lebens waren der
internationalen Politik der Friedenssicherung gewidmet, erst bei der
NATO in Paris und Mons, ab Oktober 1968 dann in Hamburg bis zum
Abschied von der
Universitaet im Sommer 1986, und danach noch privat. Man macht sich ein
falsches Bild, wenn man Baudissin zu sehr mit der Bundeswehr
identifiziert. Richtiger waere zu sagen : Er wollte dazu
beitragen, die Bundeswehr NATO-tauglich zu machen, und dazu mussten er
und seine Mitstreiter die Bundeswehr auch mental modernisieren und
sie auf Abstand zur Reichswehr bringen. Das war die uebergeordnete
Idee. Daher war es vielleicht sogar ein Vorteil, dass Baudissin 'von
aussen', aus
englischer Gefangenschaft, und nicht aus dem Ostfeldzug kam, weil ihn
das
unabhaengiger von deutschen Empfindlichkeiten und Vergangenheiten
machte, mit denen sich die Altgedienten so oft noch quaelten.
Mit der linken und studentischen
Friedensbewegung der 1960er Jahre und danach
hatte Baudissin garnichts im Sinne. Ueber Leute wie Franz Alt oder
Luise Rinser schuettelte er nur den Kopf. Als
"Friedensbewegter" wird niemand Leiter des NATO Defence College in Paris (seit 1966 in
Rom) oder drei-Sterne-General im NATO-Hauptquartier SHAPE ( "Supreme Headquarters Allied Powers Europe",
seit 1966 bei Brüssel, vorher bei Paris). Seinem eigenen Denkstil
entsprachen vielmehr
Henry Kissinger,
Richard Nixon,
Robert McNamara und
Herman Kahn, die er kannte und (mit genauen
Einschraenkungen) schaetzte. Die Militaers und Sicherheitsberater
vergleichbaren Ranges, mit denen er in der UdSSR oder in China und
Japan und auf den Treffen der
Pugwash-Conference sprach, dachten ebenso. [10]
Das waren Expertengespraeche, die zwar viel mit Rüstungskontrolle, aber nichts mit der
Friedensbewegung zu tun hatten. Das ist kein Widerspruch, denn der
Gedanke dahinter war, dass
man einander ernst nehmen muss. "Frieden" ist eine verschwommene
Vorstellung, aber Abruestung, "vertrauensbildende Maßnahmen" und
Vertraege sind etwas Greifbares. Baudissin war daher auch kaum
ueberrascht, als Michail Gorbatschow und
Ronald Reagan auf Grund eines ähnlichen Denkstils bei
den
"SALT II" und "START
I" -Verhandlungen gut zusammenarbeiteten. Da war die
gleiche nuechterne
Sachlichkeit am Werke, die Baudissin selbst schaetzte. [11]
Dabei war Baudissin sehr kritisch gegen blohsse Technokraten.
Es waren diese Technokraten auf beiden Seiten der Fronten des Kalten
Krieges, die er fuerchtete. Seine Vermutung war, dass die Aufruestung
der UdSSR, die dann Anlass fuer die Nachruestung im Westen wurde, mehr eine Folge
von Gedankenlosigkeit als
von boeser Absicht war. Da hatten irgendwelche Militaers in der UdSSR
nur ein paar Raketen modernisieren wollen und dabei nicht bedacht, dass
der Westen sich bedroht fuehlen musste. Das war eine aehnliche
Situation wie in der "Kuba-Krise" von 1962. "Empathie", sich in
den Gegner hineindenken und seine Befuerchtungen verstehen, darauf kam
es an. Fuer diese Faehigkeit bewunderte Baudissin auch Nixon.
Mangelndes
Verstaendnis fuer die berechtigten Aengste der Gegenseite, daraus
folgend ein
unnoetiges Aufschaukeln der wechselseitigen Bedrohungspotentiale, und
dumme Kraftmeierei des Wettruestens warf
er manchen Generalen und
Politikern auf beiden
Seiten vor. Daher lehnte
er auch die von
Ronald Reagan eingeleitete "Strategic Defense Initiative" (SDI) als
unnoetig ab. Wer sich unangreifbar macht, wird auch dadurch zu einer
Bedrohung fuer den Gegner. Aus dem gleichen Grunde war er 1965 entsetzt
ueber den Vorschlag eines deutschen Generals, die Grenze zur DDR mit
Atomwaffen zu verminen. Was auf den ersten Blick in einem rein
technischen Sinne plausibel scheint, naemlich das Eindringen von
Panzerarmeen des Warschauer Paktes zu verhindern, kann eben auch der
automatische Einstieg in einen Atomkrieg werden, wodurch die
Politik ihrer Optionen beraubt wird. [12]
Baudissins Modell hiess demgegenueber "ko-operative Ruestungssteuerung"
: Statt sich gegenseitig als Kriegstreiber moralisch zu
verurteilen und sich in eine Aufruestungsspirale zu treiben, sollten
die Konfliktparteien gemeinsam nach der preiswertesten Loesung suchen,
die fuer beide einen annehmbaren Kompromiss darstellt und die beiden
Seiten
noch ein ausreichendes Gefuehl von Sicherheit gibt. Mit
"Friedensbewegtheit" haben solche Ueberlegungen nicht zu
tun. [13]
Baudissin war als Experte fuer Friedensforschung auch im Beirat fuer
das 1970 eingerichtete Starnberger Institut", in dem unter Leitung der
Direktoren
Carl-Friedrich von Weizsäcker und
Juergen Habermas ueber die Form einer
kuenftigen „friedensfaehigen Gesellschaft“ nachgedacht wurde. Mit
C.F.von Weizsaecker war Baudissin schon vorher auch fachlich gut
bekannt, weil dieser
ein
Mitunterzeichner des "Goettinger Manifest" von 1957 gegen
Atomwaffen in
deutscher Hand gewesen war.
Zeitweilig war Baudissin Mitherausgeber einer Zeitschrift fuer
Gruppendynamik (Vgl.
Gruppendynamik und Organisationsberatung - Zeitschrift für
angewandte Sozialpsychologie).
Das erklaerte sich aus dem Interesse fuer
die Sozialpsychologie von Bomberbesatzungen und
Fuehrungsstaeben ebenso wie fuer die von
Spezialkommandos und Kompanien. Von diesem Sinn fuer das Technische und
Praktische
ist auch das Konzept des Staatsbuergers in Uniform deutlich bestimmt.
Moderne Kampfgruppen sind auf die gute Zusammenarbeit
hochspezialisierter Techniker angewiesen, die oft mehr Sachverstand
haben als die Gruppenleiter. Statt nur zu kommandieren muss ein solcher
koordinieren, ueberzeugen und führen können. Das war immer
ein Hauptargument für die "Innere Führung" neben der
Loyalitaet für den zivilen Staat.
Baudissin war zwar glaeubiger Lutheraner und
als solcher mit dem gleichaltrigen lutherischen Militärbischof
Hermann Kunst auch persönlich
befreundet, aber das ist ein
Nebenaspekt, in dem die lutherische Achtung fuer den Staat als einer
Friedensordnung zum Ausdruck kommt. Mahssgeblich fuer Baudissins
politisches
Denken war das Luthertum nicht, und die Achtung anders Denkender
verstand sich fuer ihn von selbst. Sein Trauspruch fuer die Ehe mit
Dagmar Graefin zu Dohna drueckt aber einen wichtigen Grundgedanken
seines Lebens aus : "Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit"
(2.Kor.3,17). Luthers Sendbrief von "Von der Freiheit eines
Christenmenschen" (1520) stand ihm vor
Augen, aber auch die Bedeutung von
Augustinus.
Die Aufkleber "links, friedensbewegt, lutherisch" passen alle nicht zu
Baudissin. Statt derer sollte man bei Baudissin an Kant, Stein, und
Clausewitz denken. Klarheit im Denken und
Handeln war sein Stil. Menschen wie George F. Kennan, Marion Gräfin Dönhoff und
Gerd Bucerius,
Kurt Sontheimer und
Helmuth Plessner (den er aus seinen Jahren als
Brigadegeneral in Goettingen auch persoenlich kannte),
Fritz Stern,
Hannah Arendt und
Manes Sperber, Richard und Carl-Friedrich von Weizsäcker,
Helmut Schmidt,
Carlo Schmid und
Fritz Erler, dessen zu fruehen Tod er oft beklagte -
solche Leute entsprachen seinem Denken,
nicht linke oder lutherische Gestimmtheiten.
Eine konservative Grundhaltung widersprach bei Baudissins ebensowenig
einer liberalen Aufgeschlossenheit fuer die Jugendrevolte der
späten 1960er Jahre wie etwa bei Gräfin Dönhoff und der
ZEIT. Baudissins empfanden diese Rebellion ebenso wie den "Machtwechsel" von Kiesinger zu Brandt
1969 als ein Zeichen politischer
Normalisierung in der BRD. Nachdem Baudissins in New York das Musical
"Hair" gesehen hatten, meinten sie gelassen ironisch "The Hair was too
long." Aber Baudissin bestand auf der
Einhaltung demokratischer Spielregeln. Linke Selbstgerechtigkeit war
ebenso verwerflich wie rechte. Beides widersprach der
wünschenswerten offenen demokratischen Streitkultur.
Baudissin war allgemein stark historisch-politisch interessiert, wurde
aber durch seine Frau, die
Bildhauerin, auch sehr vertraut mit der kuenstlerischen und
literarischen Szene der Vor- und Nachkriegszeit, zumal in Frankreich.
Kuenstler wie Georges Braque, Picasso,
Max Ernst, oder
Henri Matisse waren wichtig, und natuerlich viele moderne
Bildhauer. Viel
bedeutete beiden Baudissins die moderne Architektur in ihren
herausragenden Werken, etwa von
Mies van der Rohe, Le
Corbusier, oder
Frank Lloyd Wright. Dagegen hatte Musik fuer beide
Baudissins weniger Bedeutung, wobei er
besonders J.S.Bach schaetzte und Wagner nicht mochte. Auch hier also
wieder der Vorrang von geistiger Klarheit vor dunkel wogendem
Pathos.
Die Verbindung von politischer, sozial-kultureller und technischer
Betrachtung ist fuer Militaers der obersten Ebenen zwingend.
Dem werden weder die rein politischen
"Friedensbewegten" noch die oft rein technisch denkenden Offiziere der
mittleren Ebene gerecht. Das macht eine Verstaendigung zwischen beiden
Seiten oft schwierig. Befragt, welchen Wahlspruch sie im Rueckblick
auf sein Wappen
setzen wuerde, meinte Graefin Baudissin nach dem Tode ihres Mannes, er
sei ein "Brueckenbauer" gewesen. Er hat versucht, zwischen der zivilen
und der militaerischen, zwischen der moralischen und der technischen
Sicht zu vermitteln. Manche Kritiker
meinten,
Baudissin ueberfordere die Menschen, die lieber in ihrer jeweiligen
Kirche bleiben, als das Gespraech zu suchen. Graf Baudissin war sich
dieser Schwierigkeit bewusst. Nur muss man fuer den
Fortschritt eben auch kaempfen.
Fuhssnoten :
[1] Es heisst
gelegentlich, Baudissin sei der Sohn eines
"Regierungspraesidenten" gewesen. Das klingt wie etwas viel
Groehsseres. Tatsaechlich bezeichnen die Begriffe "Landrat" und
"Regierungspraesident" in etwa dasselbe, naemlich den Praesidenten
eines Regierungsbezirkes bzw. Landkreises. Solche Leute sind
gleichzeitig wichtig und wenig bekannt. Wer von uns kennt den Namen des
fuer ihn zustaendigen Regierungspraesidenten, der in der
Macht-Hierarchie oberhalb der Buergermeister, aber unterhalb der
Landesregierung steht ? Die Bedeutung der Position seines Vaters
bestaetigt Baudissin indirekt, wenn er in seiner Abschiedsrede sagt, er
sei schon frueh "im elterlichen Haus mit Menschen des
oeffentlichen Lebens, Kuenstlern, Gelehrten, und Mitgliedern der
kaiserlichen Familie" zusammengetroffen. Vgl. Anmerkung [3], S.258.
Uebrigens hat Baudissin auch eine
lesenswerte Skizze seiner Kindheit geschrieben in dem von Rudolf
Poertner herausgegebenen Buch "Mein Elternhaus" (ISBN-13:
978-3548601267).
[2] Trier
gehoerte
damals noch zur preussischen
Rheinprovinz,
die nach dem Untergang
Preussens 1947 aufgeteilt wurde, wobei ein Teil
zum neuen Bundesland "Rheinland-Pfalz", ein anderer zum neuen
Bundesland "Nordrhein Westfalen" kam. Auch der Koelner Konrad Adenauer
war ja Preusse und Mitglied im preussischen Landtag. Die Bonner
Universitaet ist eine preussische Gruendung. Das ist hier
erwaehnenswert, weil Baudissin sich immer auch als Preussen empfunden
hat. Er ist also nicht etwa "von Trier nach Preussen verschlagen"
worden. Nur
darf man dabei nicht immer an Militaers denken. Auch Kant war Preusse
und ein Bewunderer Friedrichs des Grohssen. Auch die Doenhoffs und die
Dohnas waren (Ost-)Preussen. Die beiden Weltkriege haben die Ehre und
das Bild Preussens leider sehr beschaedigt. Baudissin hat darunter
gelitten, weil er sich dem "guten" Preussen zugehoerig fuehlte.
Preussen war ja einer der seltsamsten Staaten der Geschichte.
Praktisch am 18.1.1701 "geboren", als der Herzog sich in Koenigsberg
zum "Koenig in Preussen" kroente (daher das Datum der
Kaiserproklamation am 18.1.1871 in Versailles, daher auch die vielen
Buecher zum 300. Geburtstag am 18.1.2001 !), und Preussen
verschwand "spurlos" durch Verwaltungsakt der Siegermaechte 1947.
Dazwischen war es voruebergehend eine europaeische Grohssmacht "aus dem
Nichts". Man koennte sagen, Preussens einziger Zweck sei gewesen, das
(zweite) Deutsche Reich und damit ueberhaupt zum ersten Mal
"Deutschland" moeglich zu machen. Deutschland als politische Einheit,
vergleichbar mit Frankreich oder England, hatte es ja vor 1871 nie
gegeben. Man hat also das Paradox, dass Deutschland weder von Bayern,
noch von Sachsen, noch von Thueringen, noch von Wuerttemberg oder von
Hannover oder Hessen aus, die alle 1871 schon alt waren und die immer
noch existieren, sondern von einem "voruebergehenden" Staat
"geschaffen" wurde, und zwar vielleicht gerade deshalb, weil die
aelteren Staaten an einem Gesamtdeutschland nie interessiert sein
konnten und sich nur widerwillig dem Diktat Preussens gefuegt haben.
Preussen war auch der vielleicht "reinste" Staat, den es je in Europa
gegeben hat - es gibt bayrisches Brauchtum und bayrischen
Katholizismus,
aber es gibt kein preussisches Brauchtum und keine preussische
Konfession. Das Koeln von Adenauer und das Koenigsberg von Kant
gehoerten beide zu Preussen. Preussen lebte vom Pflichtgefuehl seiner
Koenige und seiner Untertanen und war in diesem Sinne der Staat von
Kant und Hegel. Daher konnte man Preussen auch den modernsten
Staat Europas nennen. Vgl. u.a. Sebastian Haffner : Preußen ohne
Legende
und Haffner, Sebastian / Venohr, Wolfgang : Preussische Profile
(Ullstein Taschenbuch) ISBN: 978-3-548-26586-5, und Preussen.
Geschichte eines Mythos, hrsg. v. Julius H. Schoeps, ISBN :
978-3-89809-030-8. Vgl. neuestens
das sehr gelobte "Preußen. Aufstieg und Niedergang
1600-1947"
(orig. "Iron Kingdom: The Rise and Downfall of Prussia, 1600-1947") von
Christopher Clark, dt. bei DVA
(Februar 2007), 896
Seiten, ISBN-13:
978-3421053923.
[3] Diese Rede
ist abgedruckt in dem sehr persoenlichen, von Elfriede Knoke, einer
langjaehrigen Freundin des Ehepaares Baudissin herausgegebenen Buch
"... als waeren wir nie getrennt gewesen", Briefe 1941-1947 [ Bonn
(Bouvier)
2001, ISBN 3-416-02987-9 ], auf S. 258 ff. Entgegen dem Titel ist das
Buch
weitaus mehr als eine weitere Sammlung von Liebesbriefen in
Kriegszeiten. Als Graefin Baudissin die sehr persoenlichen Briefe
entgegen ihrer Neigung doch zur Veroeffentlichung bestimmte, tat sie
das mit der Begruendung "Ich will, dass man sieht, wes Geistes Kind wir
waren !". Damit verteidigte sie jenes aufgeklaerte Ehrgefuehl der
preussischen Fuehrungsschicht, das auf Rechte und Pflichten gegruendet
war, und das fuer den pervertierten Ehrbegriff der Nazis nur Verachtung
empfinden konnte.
Dass der Briefwechsel zwischen Baudissin und seiner spaeteren Frau auf
Augenhoehe stattfand, versteht sich bei dem Hintergrund von selbst
: Ihr Vater, der Professor fuer Strafrecht Alexander Graf zu
Dohna (1876-1944), war ein liberaler (Stresemann)
Reichstags-Abgeordneter, der seine 5 Toechter im Geiste seiner eigenen
Liberalitaet erzogen hatte. Die Adligen, unter denen Dagmar zu Dohna
sich in Berlin bewegte, waren angehende hohe Beamte und Offiziere. Das
war der Anspruch, den sie gewohnt war. Das Buch enthaelt, neben einer
schoenen Einfuehrung der Herausgeberin
in die
Lebenslaeufe von Graf und Graefin Baudissin, einen guten
Einblick in die Schwierigkeit zweier
Menschen aus dieser liberalen preussischen Fuehrungsschicht, sich nun
im
Rahmen des Moeglichen (Zensur!) ueber die Aufgabe nach dem Kriege zu
verstaendigen. Wie sollte es nach der politischen und moralischen
Katastrophe der Hitlerei weitergehen ? Hier werden im Wechsel der
Argumente
die Wurzeln fuer Baudissins spaeteren Entwurf eines "Staatsbuergers in
Uniform" erkennbar, hier bildeten und festigten sich die Anschauungen,
die fuer Baudissins weitere Entschluesse leitend wurden. Immerhin waren
Baudissins mit den meisten fuehrenden Verschwoerern des 20. Juli 1944
befreundet gewesen. Baudissins haben im Namen ihrer ermordeten Freunde
fuer ein Deutschland gekaempft, in dem ein
Hitler nie wieder moeglich sein sollte. Dafuer sollte das Buch ein
Dokument sein.
Das Buch "Als waeren wir nie getrennt gewesen.." kann als
Ergaenzung zu dem vorliegenden Aufsatz gelesen werden.
Es endet im wesentlichen wie die Briefe 1947, deutet aber
die spaetere Geschichte von Baudissins mit Bundeswehr und
NATO und dem IFSH Institut in Hamburg an und enthaelt wichtiges
ergaenzendes Material ueber die Briefe hinaus .
Man sollte sich dazu bewusst
machen : In Deutschland wird Baudissin fast ausschliesslich als
"Vater
des Staatsbuergers in Uniform" wahrgenommen. Aber von den 40 Jahren
zwischen 1947 (Entlassung aus englischer Kriegsgefangenschaft) und 1986
(Abschiedsrede im IFSH) war Baudissin nur 12 Jahre (von 1950-1961)
unmittelbar fuer den Aufbau der Bundeswehr taetig. Es folgten 7 Jahre
(von 1962-1968) als General bei der NATO in Paris und Mons in hoher
Verantwortung fuer strategische Planungen, und es folgten schliesslich
die 18 Hamburger Jahre von 1969 bis 1986 als Gruendungsdirektor des
IFSH mit Vorlesungen und Seminaren zur globalen Strategie der
Friedenssicherung im Rahmen der NATO, mit zahlreichen informellen
Kontakten und Reisen zu hohen Militaers und Politikberatern weltweit.
Eine
"globale"
Sicht war schon dem Stabsoffizier bei Rommel 1941 vertraut, und beim
Aufbau der Bundeswehr hatte das Ziel der "Buendnisfaehigkeit" deutscher
Truppen innerhalb der NATO eine zentrale Bedeutung. Baudissin
zu ausschliesslich mit der Idee des Staatsbuergers in Uniform zu
verbinden wird ihm daher nicht gerecht. Er muss mindestens ebenso sehr
als NATO-General und als Direktor des IFSH wahrgenommen werden.
[4]
Speziell zum militaerischen Widerstand um Stauffenberg vgl. eine
Biographie des persoenlichen Freundes von Baudissin : "Henning von
Tresckow.
Ein Preusse gegen Hitler", von Bodo Scheurig. Erstausgabe 1973. Dieses
Buch ist es, das
Baudissin selbst kannte und schaetzte. Vgl. aber bei amazon.de die
kritischen Bemerkungen von Andreas Vierecke zur unveraenderten
Neuauflage des Buches nach 30 Jahren, als ob es die
Debatte ueber Verbrechen der Wehrmacht nie gegeben
haette. Vgl. dazu
"Verbrechen
der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte" (2005), von Christian Hartmann,
Johannes Hürter, Ulrike Jureit.
Vgl.
auch :
"Henning von Tresckow. Ich bin, der ich war. Texte und Dokumente." Hgg.
Sigrid Grabner und Hendrik Röder. Baudissins haben zwar nicht das
Buch (2001), wohl aber einige der Autoren gekannt und geschaetzt.
Die Szene mit
Witzleben berichtet Baudissin in einem Interview, das er Anfang Mai
1991 Mainhardt Graf von Nayhauß gab. Dort sagt Baudissin : Ich
bin [nach der Fritsch-Affäre] nochmal zu Witzleben gegangen mit
Henning Tresckow und habe ihm gemeldet, daß ich jetzt nach dem
Versagen der Generalität und auch von Fritsch, daß wir uns
das alles gefallen ließen, daß ich nicht länger Soldat
bleiben wollte. Worauf Witzleben mich sehr lieb und freundlich ansah
und sagte, "Lieber Bau, sind Sie nicht mehr zum Widerstand bereit ?".
Ich sagte, das bin ich. "Dann müssen Sie Soldat bleiben !"
Kurz vorher benennt Baudissin im Interview das Dilemma aller
Widerstaendler : "Das war ja damals das Schreckliche ..,
daß man auf der einen Seite als Generalstabsoffizier ...helfen
mußte, daß der taktische Auftrag der Division erfüllt
wurde ...und man auf der anderen Seite ...wußte, daß jeder
taktische Sieg ein politischer Gewinn für Hitler war."
Spaeter im Interview sagt Baudissin, was man wissen konnte : "Der
Widerstand kam eben auch aus der Nähe von Berlin und den
Einblicken, die jeder von uns haben konnte in das Unrechtssystem. Das
war bei mir noch, daß ich über meine Frau noch eine Reihe
von Künstlern und Intellektuellen kennenlernte, die nun auch
abgeschoben wurden. In Potsdam konnte man (sich), wenn man sich nicht
große Mühe gab, keine Illusionen machen auch über das,
was in den KZs passierte. Das erreichte einen, das erfuhren
viele." Das
Nayhauss-Interview, das als Material fuer ein Buch von Nayhauss ueber
das Potsdamer IR-9 diente ("Zwischen Gehorsam und Gewissen" 1994,
ISBN-13: 978-3785707128), ist im Baudissin-Dokumentationszentrum (BDZ)
in der Fuehrungsakademie der
Bundeswehr in Hamburg unter dem Sigel <182005> archiviert.
[5]
Vgl. : Offiziere gegen Hitler, von Fabian von Schlabrendorff
(1946), mehrere Neuausgaben.
Ferner : Ulrich von Hassell : "Tagebuecher 1938-44". ISBN-10:
3442128242. Von Hassell war mit Graefin von Baudissin befreundet und
man erfaehrt viel ueber ihr Berliner Umfeld in jenen Kriegs- und
Hitler-Jahren.
Ergaenzend
fuer die letzten Monate des Krieges und zur Stimmung im
Untergang des Reiches : Margret Boveri : Tage des
Ueberlebens. Berlin 1945. Ferner
"Bis zur letzten Stunde. Hitlers Sekretärin erzählt ihr
Leben." von
Traudl Junge und Melissa Müller, List-Tb. (Oktober 2003), ISBN-13:
978-3548603544. Von Traudl Junge gab es kurz vor ihrem Tode im Februar
2002 (http://de.wikipedia.org/wiki/Traudl_Junge) ein wichtiges
Fernseh-Interview, das auch auf DVD zu haben ist :
http://www.amazon.de/Im-toten-Winkel-Hitlers-Sekret%C3%A4rin/dp/rentals/B00063IQZ2.
Passend dazu der Film "Der Untergang
(Hitlers)" http://www.film.de/moviespecials.php/id/1486/
und http://www.stern.de/unterhaltung/film/530352.html
und
http://www.planet-interview.de/interviews/pi.php?interview=lara-alexandra-maria
Ein
schoenes und sehr persoenliches Buch der Witwe des hingerichteten
Widerstaendlers vom 20.Juli 1944, Peter Graf Yorck von Wartenburg, ist
Marion Yorck von Wartenburg : Die Stärke der Stille. Erinnerungen
an ein Leben im Widerstand. Diederichs 2.A 1985, ISBN-10: 3424007870
(u. andere Ausgaben) Vgl. dazu die schoene Skizze von
Yorcks Persoenlichkeit, die Marion Graefin Doenhoff in ihrem auch sonst
sehr lesenswerten Buch "Menschen, die wissen, worum es geht" (Hoffmann
und Campe 1976, ISBN 3-455-01552-2) auf S.15 ff gibt. Dort schreibt sie
auf S.24 : "(Fuer die beiden Widerstandskreise um Yorck und Moltke)
waren etwa die gleichen Grundelemente entscheidend: Konservatismus,
Sozialismus, Christentum." Diese Mischung kann auch fuer
Baudissin gelten. Aber "Sozialismus" ist hier eben nicht "links",
vielmehr versteht er sich als ein Sinn fuer Verantwortlichkeit und
soziale Gerechtigkeit in einer auf den Respekt vor der Menschenwuerde
bedachten Gesellschaft. An gleicher Stelle (S.26) zitiert Graefin
Doenhoff den dann ebenfalls ermordeten Mitverschwoerer vom 20.Juli 44, Generaloberst Beck mit einem Grundsatz, der
ebensogut von Baudissin
haette stammen koennen : "Ihr soldatischer Gehorsam hat dort eine
Grenze, wo Ihr Wissen, Ihr Gewissen, und Ihre Verantwortung Ihnen die
Ausfuehrung eines Befehls verbieten." Die Schwierigkeit liegt
natuerlich in der Frage : "Verantwortung vor wem - vor Gott oder vor
Hitler ?" Aber diese Schwierigkeit ueberhaupt zu sehen und zu
bedenken, sich ueber eine rein erfolgsorientierte Denkweise zu erheben,
darauf kam es den Verschwoerern und Baudissin an. Man musste bereit
sein, Verbrechen als Verbrechen zu erkennen statt sich wie Eichmann
zum
blohssen Befehlsempfaenger zu entmannen. Das war auch die Position der "Bekennenden
Kirche" und ihrer "Barmer Erklaerungen".
Und es war
der Inhalt von Baudissins Trauspruch : "Wo der Geist des Herrn ist, da
ist Freiheit" (2.Kor.3,17).
Zum
Widerstand gegen Hitler allgemein war immer ein Klassiker : "Das
Gewissen steht auf. 64 Lebensbilder aus dem deutschen Widerstand
1933-1945", herausgegeben von Karl D. Bracher, Willy Brandt, Annedore
Leber. Erstmals 1954 im Mosaik-Verlag, jetzt in anderen Ausgaben. Das
Buch stellt den
Widerstand in seiner ganzen Breite
dar, also auch den christlichen und sozialistischen, nicht nur den
militaerischen Widerstand.
Vgl. Richard von Weizsaeckers beruehmte Rede am 8.
Mai 1985, dem
40ten Jahrestag der deutschen Kapitulation, wo er als Bundespraesident
den 8.
Mai 1945 als "Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft" herausstellte - und eben
nicht (nur) als einen Tag der Niederlage. (Ein Link zum Wortlaut der
Rede findet sich im Wiki-Artikel.)
Zur
Reichswehr sagt Haffner in einem Buechlein mit Aufsaetzen
(Sebastian Haffner zur Zeitgeschichte, Knaur TB 3785, 1982, S.101 :
"Was war der 20. Juli ?") im Rahmen einer starken Empfehlung fuer
Kunrat von Hammerstein-Equord "Spaehtrupp" (1963) : "Diese
Klasse
(des preussischen Militaeradels) war vielleicht die einzige, sicher die
staerkste herrschaftsfaehige und staatsbildende Kraft, die Deutschland
in der Neuzeit hervorgebracht hat. ... Ob man sie nun mag oder nicht,
sie hatte, was eine herrschende Klasse braucht, und was weder der
deutsche Hochadel, noch das deutsche Buergertum, noch, wie es scheint,
die deutsche Arbeiterschaft hatten oder haben : Geschlossenheit,
Stil, Herrschaftswillen, Durchschlagskraft, Selbstsicherheit,
Selbstdisziplin, Moral, Gewissen, Ueberzeugung,
Staatsbewusstsein."
Aber, so fuegt er wenige Saetze weiter hinzu : "Man braucht kein
Marxist zu sein um zu sehen, dass ein moderner Industriestaat nicht von
einer Klasse gefuehrt werden kann, deren wirtschaftliche Grundlage
verschuldete Gueter sind. Eine herrschende Klasse, die zugleich schon
fast ein Anachronismus ist - das kann nicht gut gehen." Und
resignierend : "Aber was, wenn keine andere da ist ?"
Zwischen Gehorsam und Gewissen, von Mainhardt Graf von Nayhauss
(Lübbe 1994, ISBN-13:
978-3785707128),
ist im
Zusammenhang lesenswert, weil es einige Mitglieder des beruehmten
Potsdamer Infanterie-Regiments 9 - wegen der vielen
Adligen scherzhaft "IR Graf 9" genannt - zu Wort kommen laesst (u.a.
den spaeteren
Bundespraesidenten Richard von Weizsaecker). Auch Graf Baudissin war
bei "Graf 9", hatte dort den Spitznamen "Graf 9 mit Ballonmuetze". Nur
muss man auch das im Zusammenhang sehen : In einem so
konservativen Kreis adliger Offiziere galt schon die Verteidigung der Weimarer
SPD
und ihres ersten Staatspraesidenten Friedrich
Ebert als "links".
Baudissin war, wie gesagt, nicht "links", wohl aber "republikanisch aus
Verantwortung". Dies ist ein Argument, das auch Graf v
Kielmansegg in einem Interview
anfuehrt : "Hitler war der
Anfuehrer der staerksten Fraktion, also stand ihm auch nach der
Verfassung das Amt
des Reichskanzlers zu." Viele in der Reichswehr, die Hitler nicht
mochten, haben das murrend aber loyal akzeptiert. Dazu wieder
v.Kielmansegg in seinen Erinnerungen (Karl Feldmeyer und Georg Meyer:
"Johann Adolf Graf von Kielmanssegg 1906-2006", Verlag Mittler 2007,
ISBN 10: 3-8132-0876-1) : (S.4) "Es war nicht so, dass die Offiziere
der Reichswehr unbedingt daran dachten, sie wollten ihren Kaiser
Wilhelm wiederhaben, aber die Grundhaltung war doch in diese Richtung.
Sie waren niemals illoyal gegenueber der Republik. Sie liebten sie zwar
nicht, aber sie standen zu ihr. Entscheidend war das, was der Chef der
Heeresleitung, der General von Seeckt, vorgab : "Ihr seid da fuer
diesen Staat, auch wenn er jetzt demokratisch-republikanisch regiert
wird." Baudissin hat Seeckt etwas anders gehoert. In seiner
Abschiedsrede [3] zitiert er Seeckt mit den Worten : "Das Heer dient
dem Staat, und nur dem Staat; denn es ist
der Staat." In der gleichen Rede sagt Baudissin (aaO, S.261) :
"Durch die Naehe zur Zentrale Berlin und einen breitgefaecherten
Bekanntenkreis,
zu dem auch juedische Mitbuerger gehoerten, wurden wir (Offiziere)
frueh und direkt mit den bedenkenlosen Rechtsbruechen (des neuen
Regimes) konfrontiert, die an Zahl und Niedertracht von Woche zu Woche
zunahmen." Trotz derartiger Nuancen dachten aber Graf von Baudissin,
Graf von Kielmansegg und Ulrich de Maiziere im Wesentlichen sehr
aehnlich, auch wegen ihres aehnlichen Hintergrundes im preussischen
Beamtenadel. Die gleichzeitige Verleihung
des Freiherr vom Stein Preises an alle drei Offiziere 1964 bringt dies
zutreffend zum Ausdruck. So wurde auch das Konzept vom "Staatsbuerger
in
Uniform" von Anfang an durchgaengig von allen drei Generalen gemeinsam
getragen,
auch wenn es meistens mit dem Namen von Baudissins verbunden wird, weil
dieser hauptverantwortlich
fuer die Ausarbeitung und
Darstellung des Konzeptes war. Zur Umsetzung siehe unten den Nachtrag.
Hitlers Genie zeigte sich darin, dass er bei der Kanzlerwahl und beim
Ermaechtigungsgesetz
"im Rahmen der Verfassung" blieb. Erst danach brach der Wolf aus dem
Schafspelz hervor - wobei der Wolf auch noch hoehnen konnte : "Ich
hab's euch doch allen schon vorher gesagt, was ich vorhabe !" Nur
geglaubt hat ihm das (fast) niemand. Man hielt Hitlers Putschversuch
1923 in Muenchen und sein Buch "Mein Kampf" einfach fuer die Torheiten
eines
weltkriegsgeschaedigten Idealisten. Solche gab es damals viele. Graf
von Kielmansegg erinnert sich in dem oben genannten Buch (S.5) "Hitler
sei zunaechst in ein Kabinett eingebunden gewesen, in dem nicht die
NSDAP, sondern ihre Koalitionspartner, Zentrum und Deutsch-Nationale
Volkspartei (DNVP), die Mehrheit besessen haben. Wichtig sei gewesen,
dass der Reichspraesident von Hindenburg Hitler ernannt habe, und dass
er ihn auch jederzeit haette absetzen koennen. Den "Tag
von Potsdam" habe
er (Kielmansegg) als Beginn einer nationalen Befreiung empfunden und
begruehsst." Weiter unten : "Ausgesprochen ablehnend standen er
(K.) und viele seiner Kameraden alsbald der SA gegenueber. 'Von denen
muss er (=Hitler) sich halt trennen!' sei bald eine verbreitete
Ansicht geworden. "Als Soldat hatte man gegenueber der SA schon eine
beinahe feindliche Einstellung, zumindest aber eine ablehnende. Nicht
so gegenueber Hitler, das muss ich (K.) immer wieder betonen. Man sagte
'Mein Gott nochmal - dieser Mann und diese Leute !' " Das
erklaert, warum die Reichswehr keine starke Reaktion sondern eher
Erleichterung zeigte, als Hitler die SA 1934 ausschaltete, wobei Hitler
sich sogar bei der Reichswehr fuer ihr Stillehalten bedankte. Dazu
wieder von Kielmansegg aaO, S.7 : "Der Satz 'die Revolution frisst ihre
Kinder' gibt die
Einstellung wieder, die damals bei mir wie bei vielen gebildeten
Menschen dieser Zeit eine Rolle gespielt hat." Probleme hatte von
Kielmansegg erst, als Hitler zugleich mit der Wiedereinfuehrung der
Wehrpflicht am 16. Maerz 1935 den unbedingten Soldateneid auf seine
Person als Fuehrer (statt auf die Weimarer Verfassung) forderte. Da
begann man zu ahnen, auf wen man sich eingelassen hatte - und dass es
nun wohl kein Zurueck mehr gab.
Zur riesigen Literatur zum Dritten Reich nur wenige Hinweise :
Als Einfuehrung
besonders geeignet ist Hans-Ulrich Thamer :
Verführung und Gewalt. Dies ist ein Band aus "Siedlers Deutsche
Geschichte", von deren letzten 5 Baenden (fuer die Zeit von 1866-1990)
es eine preiswerte Sonderausgabe gibt (ISBN-10: 3809417645).
In der
unmittelbaren Nachkriegszeit war wichtig :
Eugen Kogon :
Der SS-Staat. 1946. Es gibt immer
noch mehrere Ausgaben, ua. ISBN-13: 978-3453029781. Hannah Arendt
bemaengelte einige Unrichtigkeiten.
Neuerdings gibt es mehrere ausfuehrliche Studien von Englaendern ueber
die Nazi-Aera. Vgl. besonders die Einfuehrung zum Gesamtkomplex :
Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und
Kontroversen im Überblick (ISBN-10: 3499607964) von
Ian Kershaw .
Die
Buecher von
Sebastian Haffner : "Anmerkungen zu Hitler" und "Von
Bismarck zu Hitler", sind Klassiker.
Sebastian Haffner (wie Baudissin 1907 geboren), ein unbedingter Gegner
der Nazis von Anfang an, hat bestaetigt, dass das allgemeine Gefuehl
nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler ein
Gefuehl der Erleichterung war : "Wenigstens nicht (der Kommunist)
Thaelmann !" (der in den Wahlen vom 6.11.1932 die drittstaerkste
Fraktion hinter NSDAP und SPD fuehrte) und : "Endlich ein Ende der
Strahssenkaempfe von
Kommunisten und Nazis !" und : "Endlich ein Ende mit staendig
wechselnden
Koalitionsregierungen !" (24 in 14 Jahren). Ein paar Zahlen (aus
Thamer, aaO, S. 212/213 : In der Reichstagswahl vom 6.11.1932
bekam die NSDAP 196 Mandate, das ueberwiegend katholische Zentrum 90,
die SPD 121, und die KPD 100, so dass "die Linken" zusammen 221 Mandate
hatten. Im Prinzip haetten sie damals eine "Sozialistische
Einheitspartei gegen Hitler" bilden koennen, aber viele in der SPD und
auch in der KPD waren strikte dagegen. Aus heutiger Sicht und nach dem
Untergang der DDR mit ihrer von Stalin erzwungenen SED sicher mit
Recht. Aber damals haben viele Waehler eine solche Entwicklung
befuerchtet, und auch deshalb die Nazis bei der naechsten (und letzten
freien)
Wahl als das vermeintlich kleinere Uebel gewaehlt. Die Zahlen bei
dieser Reichstagswahl vom 5.3.1933 sind : NSDAP 288, Zentrum 92,
SPD 120, KPD 81, d.h.,
die Nazis allein hatten fast die Haelfte aller Mandate. Zwei Wochen
spaeter, am 21.3., dem Jahrestag der Reichsgruendung 1871, inszenierte
Goebbels den "Tag von Potsdam", um Hitler in den historischen
Zusammenhang mit den preussischen Koenigen, die ja in Potsdam residiert
hatten, zu stellen. Hitler mit Cut und Zylinder sollte
staatsmaennisch-serioes erscheinen. Das Foto, auf dem er sich vor dem
alten Hindenburg verbeugt, war dann allgegenwaertig.
Zur immer wieder aufgeworfenen Frage "warum Hitler nicht verhindert
wurde" vgl. das Buch : "Warum habt ihr Hitler nicht verhindert?",
herausgegeben von Guido Knopp und Bernd Wiegmann (Fischer TB 3476,
1983 = 50ter Jahrestag des Ermaechtigungsgesetzes von 1933). Die
Antwort quer ueber alle Parteien - auch Baudissin
kommt zu Wort - ist einfach : Die meisten
Waehler haetten nicht verstanden, warum man Hitler haette verhindern
sollen. Hitler war beliebt oder wurde als kleineres Uebel gegenueber
den
Kommunisten gewaehlt und als Befreier von den unfaehigen Politikern der
Weimarer Republik. Hitler stand damals - 1932/33 - noch nicht fuer
Weltkrieg oder Holocaust. Er war anti-semitisch und
anti-demokratisch, aber beides waren verbreitete
Einstellungen, kaum Hinderungsgruende. Man sah in ihm einen Idealisten
und Saubermann, der fuer Deutschlands Ehre kaempfte. Viele nahmen
Hitler auch nicht ernst und waren sich Anfang 1933 sicher, dass er
uebers Jahr vergessen und kein Thema mehr sein werde (Vgl. Thamer,
aaO, S.9 ff : "Fehleinschaetzungen").
Absurderweise kam hinzu, dass Stalin
den Kommunisten geraten hatte, Hitler zu waehlen, weil er die SPD als
die groehssere Gefahr fuer "seinen" Kommunismus ansah : Die SPD
erschien als die bessere Arbeiterpartei, das machte sie fuer die
Stalinisten gefaehrlich, waehrend man mit Hitler hoffen konnte, dass
"das kapitalistische System" sich selbst zerstoeren und so die Massen
in
den Kommunismus treiben wuerde. Daran, dass der Kapitalismus "an seinen
inneren Widerspruechen zugrunde gehen" werde, haben viele Stalinisten
noch nach 1980 geglaubt, bevor der Stalinismus dann selbst an seinen
inneren Widerspruechen zugrunde ging.
Es wird auch oft vergessen, dass die Nazi-Partei sich selbst
als Arbeiter-Partei verstand : DAP steht fuer "Deutsche
Arbeiter Partei". Hitler setzte noch "National-sozialistische-"
davor - zur Unterscheidung von der Sozialistischen Internationale.
Hitler tat auch viel fuer die Arbeiter, indem er ihnen wieder Arbeit
gab, und besonders auch durch sein "KdF" (Kraft durch Freude) Programm
mit Urlaubsreisen usw.. 1936
stellte sich
Deutschland in der Olympiade der ganzen Welt als modern, erfolgreich
und friedlich dar. Erst Ende 1938 kippte
die Beurteilung - bei vielen Deutschen durch die
"Reichkristallnacht" am
9.November, in der angeblich "das Volk", in
Wirklichkeit
Spezialtrupps der Nazis um 4 Uhr frueh die Schaufenster juedischer
Geschaefte verwuesteten und viele Synagogen in Brand steckten. Dass die
"Reichskristallnacht" nicht
Ausdruck des spontanen
Volkswillens, sondern inszeniert war, wusste man. Und der Vorgang
betraf - anders als die Roehm-Affaere 1934 - die
ganze Bevoelkerung, nicht nur die Partei. Damit wurde die
Nazi-Herrschaft endgueltig zur Gewissensfrage, der man nicht mehr
ausweichen
durfte. Im
Ausland hat wohl noch mehr die Annexion des Sudetenlandes am 1.Oktober
fuer Unruhe gesorgt. Dazu
sagt aber von Kielmansegg (aaO,
S.7/8), dass die Besetzung des Sudetenlandes wie auch die Oesterreichs
in Deutschland ueberwiegend nicht als Unrecht empfunden wurden, weil
eine grohsse
Mehrheit der Sudetendeutschen und der Oesterreicher fuer den
'Anschluss' gestimmt
hatte. Erst die
Besetzung Prags und die 'Zerschlagung der Rest-Tschechei' ein Jahr
spaeter 1939 war dann eindeutig
Unrecht und Gewalt. Es steht zu vermuten : Waere Hitler im
Sommer 1938 ermordet
worden, dann wuerde er heute wohl als die grohsse gescheiterte Hoffnung
der
Deutschen in den Geschichtsbuechern dargestellt und nicht als ihre
grohsse Schande.
Zum
Verstaendnis der deutschen Hintergruende :
Ein dickes "Bilderbuch" ist : Deutschland 1870 bis heute (1970).
Bilder und Dokumente, Hg. von Christian Zentner, ISBN-10:
351700006X. Ein anderes "dickes Bilderbuch" ist die "Chronik des
20. Jahrhunderts" herausgegeben von
Brigitte Beier, Frank-Lothar Hinz, Christoph Hünermann, ISBN-10:
3860471309.
Gordon Craig : Ueber die Deutschen
1866-1945. Craig sagt mit Recht,
dass auch die wohlmeinende Linke um Ossietzky
und Tucholsky
viel zum
Aufstieg Hitlers beigetragen hat, weil sie mit ihren linken Idealen nur
die Aengste des Buergers vor dem Chaos verstaerkte. Hitler stand
1932/33 fuer Ordnung und Sicherheit. Sogar, dass er 1934 die SA
ausgeschaltet hat, entsprach ja dieser Vorstellung.
Klaus Vondung : Die Apokalypse in Deutschland. ISBN-10: 3423044888
Fritz Stern : Verspielte Grösse. Essays zur
deutschen
Geschichte
des 20. Jahrhunderts. ISBN-10: 340642046X, und vom selben Autor :
Kulturpessimismus als
politische Gefahr. Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland.
ISBN-10: 3608941363. Ferner :
"Der Traum vom Frieden und die Versuchung der Macht", ISBN
10-3-442-12808-0. Dort schreibt Stern auf S.21 : "Ich bezweifle, dass
irgend jemand 1933 die Ausrottung der Juden hat voraussehen koennen.
Man haette den absoluten Charakter der moerderischen Instinkte Hitlers
durchschauen und ein Zusammentreffen von Umstaenden sich vorstellen
muessen, das einen an seinem Verstand haette zweifeln lassen." Und eine
Seite vorher : "(Die Juden) konnten nicht glauben, dass Hitler
meinte, was er schrieb...; schliesslich war der Hass pathologisch, bar
jeder Vernunft."
Sehr wichtig ist :
Kurt Sontheimer : Antidemokratisches Denken in
der
Weimarer Republik. ISBN-10: 3423043121
Zu "Weimar" allgemein :
Walter Laqueur : Weimar. Die Kultur der
Republik. Ullstein TB 3383, 1977 (orig. engl. 1974)
Welche der genannten
Buecher Graf Baudissin kannte, ist mir im einzelnen nicht klar. Er las
aber viel, er kannte sicher das Meiste wenigstens teilweise.
[6]
Dagmar zu Dohna hat
Gerhard Marcks gerne als ihren Lehrer bezeichnet, weil sie
ihn als Kuenstler bewunderte und er sie beriet. Sie gilt
aber nicht als "Schuelerin". Ein von ihr
gestalteter Kopf ist in der Hamburger Kunsthalle, aber die meisten
Portraetkoepfe und Akte sind in Privatbesitz, ebenso die zahlreichen
Vasen und Kuebel, die sie nach dem Kriege schuf. Leider gibt es
anscheinend kein
Werkverzeichnis mit Abbildungen. Leser dieses werden hiermit
gebeten, ihnen bekannte Werke von Dagmar Graefin zu Dohna (Graefin von
Baudissin) an den Autor mitzuteilen, so dass ein solches Verzeichnis
wenigstens in Ansaetzen geschaffen werden kann. Ihre
kuenstlerische
Begabung widmete sie dann, weil sie zu methodischer Bildhauerei nicht
mehr kam, der Gestaltung ihres Gartens, der sich immer mehr in Richtung
eines japanischen Gartens entwickelte, also zunehmend mehr "graphisch"
und weniger "blumig" wurde. Auch darin hat sie sehr Schoenes erreicht.
[7]
Vgl. "Soldat fuer den Frieden", Hg. Peter von Schubert
(Piper 1969) und "Nie wieder Sieg. Programmatische Schriften
1951-1981", Hgg. Wolf
Graf von Baudissin, Cornelia Bührle, und Claus von Rosen (Piper
1984). In diesen gut edierten Baenden hat man alle wichtigen Argumente
zu Baudissins Programm beisammen. Die
von C. Bührle erstellte Bibliographie der Schriften Graf
Baudissins gilt als die Standardbibliographie.
Zur aktuellen Problematik des Soldatenbildes vgl. u.a. "Gedanken zum
Berufsbild des Offiziers der Bundeswehr von heute", von Generalmajor a.
D. Christian Millotat.
http://www.swg-hamburg.de/Deutschland_Journal/Christian_Millotat_Gedanken_zum_Berufsbild_des_Offiziers_d_.pdf
[8]
Es ging dabei nicht mehr um Angst vor Enteignungen, sondern man hatte
den Terror, die Unfreiheit,
und die Unfaehigkeit des Stalinismus in Ostdeutschland (DDR) und
Osteuropa vor Augen und sah darin auch den Beweis der
Verantwortungslosigkeit und Dummheit des Volkes und seiner Verfuehrer.
Fuer viele Konservative war auch der
"Kniefall von Warschau"
nicht eine ehrliche Anerkennung deutscher Schuld, sondern Ausdruck der
gleichen Kriecherei vor dem "russischen Baeren" wie schon der im
"Warschauer Vertrag" am selben Tage (7.12.1970) zugestandene
Verzicht auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete. Die
"Studentenrevolte" der 1960er Jahre und zumal die
"Deutsche Friedensunion" (DFU) galten vielen
Konservativen
als von Moskau
ueber Berlin-Ost gesteuert. Die Vermutung, dies alles koenne doch auch
aus ehrlicher Ueberzeugung stammen, taten sie als "naiv" ab. Ich
habe das selbst so im Ohr aus dem Munde eines ansonsten sehr netten und
kultivierten (adligen) Obersten der Bundeswehr a.D. im Jahre 1982, also
zur Zeit der SPD-Regierung von Helmut Schmidt. Dieser Oberst a.D.
lehnte auch die Unterscheidung zwischen SPD und Kommunisten als
irrefuehrend ab. Fuer ihn waren das alles nur "Sozis" oder "die
Roten". Baudissin
wusste
sehr wohl, gegen welche Leute er sich da zu wehren hatte. Deshalb ist
auch das Argument, Graf Baudissin habe sich durch seinen Beitritt zur
ÖTV und zur SPD das Wohlwollen vieler Konservativer verscherzt, in
der Sache zutreffend, uebersieht aber den entscheidenden Punkt
: Baudissin wollte ein modernes Deutschland, kein "gestriges".
Heute
versteht man nicht mehr, welche Kaempfe das noch in den 1970er
Jahren gekostet hat, als mit der Wahl Willy Brandts fuer viele
Konservative "die
Welt unterging". Helmut
Schmidt schreibt in seinen Erinnerungen an "Weggefaehrten" (btb Verlag
Oktober 1998,
ISBN-13:
978-3442755158) auf S. 474 ff ueber seine Erfahrungen als
Verteidigungsminister (1969-72) unter Willy Brandt : "Sie (d.i.,
konservative Generale der Bundeswehr) halten sich fuer inzwischen
gelernte
Demokraten (und sind als solche bestimmt nicht schlechter als viele
andere Konservative), haben aber das Ertragen oeffentlicher Kritik
immer noch nicht gelernt." Zwei Seiten weiter schreibt Schmidt :
"In meinem 'Blankeneser Erlass' wurden die drei Teilstreitkraefte Heer,
Luftwaffe und Marine ausdruecklich nicht dem Generalinspekteur, sondern
dem Minister unterstellt. Damit sollte die Moeglichkeit ausgeschlossen
werden, dass jemals (wieder) ein Soldat eine aehnlich umfassende
Kommandobefugnis erhielt wie der General von Seeckt in der Reichswehr."
[9] Man mache sich
klar : Graf
Baudissin war 6 Jahre
(von 1941-1947) bei Sydney in
englischer Gefangenschaft gewesen, sah daher die Welt auch
aus englisch-amerikanischer Perspektive, nicht nur aus deutscher. Als
Stabsoffizier bei
Rommel
in Lybien wusste er, dass es dort nicht nur darum
ging, den Italienern zu helfen und damit die Suedflanke zu sichern,
sondern auch darum, ueber Aegypten und Irak
in den Iran vorzustohssen und sich dort mit den von Norden kommenden
Truppen Mansteins zu vereinigen. Es ging schon damals um
das Oel fuer
die Industrien Deutschlands. Baudissin hatte von Sydney aus auch den Krieg
im Pazifik zwischen Japan und den USA verfolgt. Als er
schliesslich 1968
der SPD beitrat, um Willy
Brandt zu unterstuetzen, hatte er wiederum 6 Jahre (von Ende 1961 bis
Ende 1967) in hohen Positionen der NATO
in Paris und Mons hinter sich.
Er sprach bei der NATO fast nur englisch und franzoesisch, seine
Kontakte waren weltweit und international auf hoher militaerischer
Ebene. Auch das musste seinen Blick fuer weltpolitische
Zusammenhaenge weiten. Deshalb waren ihm viele konservative Bedenken
in Deutschland schlicht zu provinziell.
[10]
Vgl. die Reden aus Anlass der Verleihung des Friedens-Nobelpreises fuer 1995 an die
Pugwash-Conference
[11]
Hier ein Beispiel fuer den technischen Charakter von
"friedenssichernden Mahssnahmen" - und zwar schon vor ueber 30 Jahren,
umso mehr heute. Das Beispiel ist entnommen dem Protokoll der
"Bergedorfer Gespraeche" #55 :
Eingabe http://www.koerber-stiftung.de/bg/recherche/de/suche.php,
dort
Suche nach "Baudissin" im Feld "von Teilnehmer", mit Ergebnis (u.a.) :
55. TAGUNG DES BERGEDORFER
GESPRÄCHSKREISES
Entspannungspolitik
nach Helsinki - eine Zwischenbilanz
Beitrag Nr. 15 (Wolf Graf von Baudissin), 24, Hamburg, 27.11.1976
// ... Herr Arbatow und andere Teilnehmer haben von einer
großen Weltabrüstungskonferenz gesprochen. Wir wissen alle,
daß Abrüstung im Grunde genommen nur weltweit, nur total
sein kann ... Wir wissen aber ebenso, daß es sinnlos ist,
über Abrüstung auch nur nachzudenken, bevor wir nicht ein
Weltordnungsmodell gefunden haben, in dem die Vertragstreuen vor den
Vertragsbrüchigen geschützt werden; in dem sich die nach wie
vor kleinen Staaten vor den weiterhin Mächtigen trotz aller
Konflikte sicher fühlen. Bloße Abrüstung löst
nicht ein einziges der bestehenden gesellschaftlichen und
zwischenstaatlichen Probleme.
Wir haben in den fünfziger Jahren erlebt, daß derartige
Abrüstungskonferenzen letztlich nur negative Folgen für das
internationale Klima hatten. Sie wurden von beiden Seiten lediglich zu
dem Zweck benutzt, den anderen durch unannehmbare Vorschläge als
Friedensstörer zu entlarven. Mit solchen Konferenzen schaffen wir
entweder Resignation oder Euphorie in den beteiligten Gesellschaften -
beides ist dem Entspannungsprozeß mehr als abträglich.
Wenn es uns ernst ist mit dem Wunsch, die Rüstungssteuerung zu
intensivieren, dann reichen Verhandlungen allein nicht mehr aus. Die
technologische Innovation hat ein Tempo und Ausmaß angenommen,
daß Abmachungen unpräzise und interpretationsbedürftig
werden oder bei Inkrafttreten bereits überholt sind. Wir
müssen jedenfalls gemeinsam überlegen lernen, welche
Rüstungsschritte destabilisieren und welche stabilisieren.
Andernfalls wird sich die Rüstungsdynamik niemals politisch
steuern lassen. Voraussetzung dafür ist aber in jedem Fall
Ausgewogenheit - sprich: Nicht-Überlegenheit. //
[12]
Von Kielmansegg gibt (aaO, S.64 ff sowie das Interview) eine
technische Begruendung
dafuer, warum dieser Plan verworfen wurde
: Die Freigabe von Atomwaffen war dem US-Praesidenten
vorbehalten, und Planspiele ergaben, dass bis zur Freigabe mindestens
6-7
Stunden
vergangen waeren. Bis dahin waeren die Panzer des Warschauer Paktes
eventuell schon am Rhein gewesen. Das war auch ein Grund, warum einige
Generale die Verfuegung ueber Atomwaffen in deutscher Hand haben
wollten, eine Option, die nicht nur Baudissin grundsaetzlich ablehnte.
Es gab ja bis
zum Ende des
"Kalten Krieges"
1990 immer die in Deutschland stationierten
US-Truppen mit ihren Atomwaffen, das musste als Abschreckung genuegen.
Baudissins
Prinzip hiess : "Atomwaffen sind Nicht-waffen", d.h., sie sind
nicht dazu da, eingesetzt zu werden, sondern die Schwelle eines jeden
denkbaren Krieges "unendlich hoch" zu legen. Dies war uebrigens auch
die Sicht des "Vaters der Wasserstoffbombe",
Edward Teller. Er sagte
(sinngemaehss) : "Die Menschen sind zu dumm, um Frieden zu
schliessen. Man muss daher eine Waffe bauen, die so verheerend ist,
dass niemand sie auch nur zu beruehren wagt." Man vergleiche zum
Thema "nukleare
Gefechtsfeldwaffen" auch, was General Ulrich de Maizière in
seinen
Erinnerungen
("In der Pflicht") auf S. 275 ff. schreibt.
Tatsaechlich hatten sowohl die NATO wie der Warschauer Pakt
ausgearbeitete Konzepte
fuer einen Atomkrieg in der Schublade. Staebe versuchen immer, auf alle
Moeglichkeiten vorbereitet zu sein. Das wird von ihnen erwartet.
Herman Kahn
hatte schon 1959 in seinem Buch "On Thermonuclear War" die
Fuehrbarkeit von Atomkriegen untersucht, und Baudissin kannte Kahn
persoenlich. Man wusste, dass auch die Russen und Chinesen die
Moeglichkeit eines Atomkrieges gegeneinander kuehl in Betracht zogen,
wie auch ebenso spaeter die Inder und Pakistani. Die Sorge aller
Experten war immer, dass ein Atomkrieg zwar mit "nur taktischen"
Gefechtsfeld-Waffen
(Atomminen und -granaten) beginnt, dann aber doch sehr schnell
eskaliert. Dokumente aus den 1960er Jahren beweisen, dass
derartige Szenarios wirklich durchgespielt wurden. Vgl. http://www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/PHP.html.
Vgl. auch die
Filme "War Games" http://imdb.com/title/tt0086567/, "The Day
After" http://www.new-video.de/film-the-day-after/ + http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Tag_danach,
und "Threads" http://de.wikipedia.org/wiki/Threads, sowie
allgemein http://de.wikipedia.org/wiki/Nuklearer_Holocaust
sowie http://skeptically.org/onwars/id7.html und http://www.wcurrlin.de/links/basiswissen/basiswissen_kalter_krieg.htm
und http://www.kssursee.ch/schuelerweb/kalter-krieg/ende/abruestung.htm
und http://www.rheinhit.de/bunkerland/id8.htm
und http://de.wikipedia.org/wiki/Dritter_Weltkrieg
mit http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Dritte_Weltkrieg.
In dem postum
erschienenen Buch "Nachdenken über den Atomkrieg.
Konflikt-Szenarios mit simulierten Situationen im Dienst der
Friedensstrategie." Bern + München 1984 (Scherz) ISBN
3-502-16361-8
(Orig.: "Thinking about the unthinkable in the 1980s", ISBN-13:
978-0671604493), erklaert Herman Kahn (1922-83) gleich
einleitend, warum die meisten Vorschlaege von Friedensfreunden
ungelesen in den Papierkorb wandern. Nicht etwa, weil Politiker und
Generale kriegsluestern waeren, was ihnen Friedensbewegte gerne
unterstellen, sondern weil sie Entscheidungstraeger sind, die
entscheidbare Optionen brauchen und keine vagen Prinzipien. "Fuer den
Frieden" ist (fast) jeder,
darum geht es nicht. Die entscheidbaren Fragen sind immer vom Typ
"Sollen wir nun diese speziellen Raketen hier und jetzt aufstellen,
oder
sollen wir das nicht ?" Das ist eine entscheidbare Frage, auf die
sich nach Anhoerung von allem fuer und wider mit Ja oder Nein antworten
laesst. Und genau diesen Charakter der Entscheidbarkeit haben die
wenigsten Forderungen von
Friedensaktivisten. Es verhaelt sich damit aehnlich wie mit der
bekannten
Forderung, "soziale Gerechtigkeit" ins Grundgesetz zu schreiben.
[13] Zur
Friedensforschung, so wie Graf
Baudissin sie verstand und betrieb, vgl. die umfassende "fachliche"
Festschrift "Im Dienst fuer Frieden und Sicherheit" [Baden-Baden
(Nomos) 1985, ISBN 3-7890-1046-4], herausgegeben von
Dieter S. Lutz
(damals stellvertretender wissenschaftlicher Direktor von "Baudissins"
Hamburger Institut IFSH) anlaesslich der Verabschiedung von Graf
Baudissin
als Institutsdirektor 1984.
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------
[14]
Nachtrag = ergaenzende Anmerkungen am 10. Februar 2008
Keine der in den obigen Text eingearbeiteten oder der unten genannten
neuen
Informationen hat zu deutlichen
Aenderungen
an der bisherigen Darstellung Ursache gegeben. Sie bestaetigen,
praezisieren und beleuchten den einen oder anderen Punkt,
mehr nicht. Wuerde also der bisherige Text so stehen bleiben, wie er
seit 26. Maerz 2007 im
Internet stand, waere er immer noch mit der aktuellen Erkenntnislage in
Uebereinstimmung.
FN 14.1 : Folgende Informationen sind mir inzwischen
verfuegbar geworden :
(FN 14.1.1) Wolf Graf von
Baudissin
1907-1993. Modernisierer zwischen totalitärer Herrschaft und
freiheitlicher Ordnung, herausgegeben im Auftrag des
Militärgeschichtlichen Forschungsamtes von Rudolf J. Schlaffer und
Wolfgang Schmidt. R. Oldenbourg Verlag, München 2007, ISBN
978-3-486-58283-3
Es handelt sich um die Festschrift aus Anlass des
100ten Geburtstages von Baudissin am 8.5.2007, die am Vortage in Berlin
vorgestellt wurde.
(FN 14.1.2) Ein Interview, das Baudissin einem Redakteur der NDR, Bernd
C.
Hesslein, im Sommer 1979 in seiner Hamburger Wohnung (HH-Klein
Flottbek, Hemmingstedter Weg 51) gab. Das Interiew gehoerte in die
Serie "Zeitzeugen". Es wurde am 3.8.1979 im 3. Programm des
NDR/RB/SFB/WDR/HR um 20.15 gesendet (Mitteilung Dr. Claus von Rosen).
Von diesem Interview kann man Kopien auf DVD beim NDR
anfordern (fuer € 36,-- an die NDR MEDIA GMBH). Das Interview wurde
wegen des Jubilaeums am 8.5.2007, morgens von
0:30-1:15h, auf dem dritten Programm des BR (BR-Alpha) noch einmal
gesendet. Beim BR gibt es aber keine DVD, nur beim NDR. Eine
Nachschrift dazu gibt es leider nicht. Vielleicht kann die jemand
erstellen ?
Im uebrigen ist
dies weder das einzige, noch das beste aller Interviews mit Graf
Baudissin, aber es gibt ein lebendiges und typisches Bild von seiner
Person in den spaeteren Jahren und es ist leicht zugaenglich.
(FN 14.1.3) Die Erinnerungen von General Ulrich de Maiziere "In
der
Pflicht", Verlag Mittler & Sohn; 3. A. Jan. 1997,
ISBN-13: 978-3813205244. Vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_de_Maizi%C3%A8re
(FN 14.1.4) Die Nachschrift eines Podiumsgespraeches, in dem Frau E.
Knoke mit
General Ulrich de Maiziere am 23.Januar
2002 im Bonner "Haus der Geschichte" ueber
Baudissin diskutierte. Anlass war die Vorstellung des von Frau Knoke
herausgegebenen Briefwechsels von Baudissin mit seiner spaetere Frau in
der Zeit zwischen seiner Gefangennahme 1941 und seiner Freilassung in
Munsterlager 1947 ( http://www.bouvier-verlag.de/?autor_id=24.
Vgl. oben, FN
[3]). Das Tonband dieses Podiumsgespraeches kann im Bonner Haus der
Geschichte abgehoert werden. Ob Kopien und Nachschriften angefordert
werden koennen, weiss ich nicht.
In dem Podiumsgespraech stellt General de Maizière einen
wichtigen Gedanken heraus : "Jede Armee, in welchem Land auch
immer, steht in
dem Spannungsverhältnis von Freiheit und Ordnung. Und es
ist sicherlich so gewesen, dass bis 1945 im Wesentlichen in den
deutschen
Streitkräften der Gedanke der Ordnung im Vordergrund stand, und
die Ordnung nur gelockert wurde, soweit es die militärischen
Notwendigkeiten nicht störte. Das Konzept, das dann später
entwickelt worden ist, im Wesentlichen ja von Baudissin, dreht es
genau um. Es stellt die Freiheit in den Vordergrund, und lässt
Einschränkungen der Freiheit in militärischen Bereichen nur
zu, soweit es militärische Erfordernisse sind. Das heißt,
Einschränkungen staatsbürgerlicher Rechte müssen
von der jeweiligen Funktion her legitimiert sein. So hatte er es,
glaube ich, auch einmal ausgedrückt." Ausserdem glaubt de
Maizière, dass Baudissin (der zwar von der Idee, Pfarrer zu
werden, bald abgerueckt ist, aber doch dem Gedanken,
Geschichtsprofessor zu werden, einiges abgewinnen konnte, und der ja
dann auch "sein" Institut, das IFSH, bekam) eine Neigung zum
Missionieren und zur
Philosophie hatte, die ihm - de Maizière - und auch Kielmansegg
abging, da sie beide eher Pragmatiker gewesen seien, die daher auch die
Reform der Bundeswehr mehr aus in den Erfordernissen selbst liegenden,
als aus philosophischen Gruenden unterstuetzt haetten. De
Maizière betont aber ausdruecklich, dass natuerlich auch
Baudissin zuerst militaerischer Fachmann war, so dass die
Unterscheidung nur eine Stilfrage, nicht eine Grundsatzfrage betrifft.
De Maizière schwaecht auch die von Baudissin in seiner
Abschiedsrede 1986 gegebene Darstellung von der Front zwischen zwei
Meinungs-Bloecken in der Bundeswehr deutlich ab. Es habe natuerlich
grohsse Auffassungsunterschiede gegeben, aber eben auch ein breites
Mittelfeld und viel Bewegung. Es sei eher Baudissins Ungeduld mit
anders Denkenden gewesen, die schaerfer als noetig zwischen
Parteigaengern und Gegnern unterschieden habe. In seinen Erinnerungen
"In der Pflicht" (s.o.) begruendet de M. auch die Entscheidung von
Adenauers Staatssekretaer Gumbel, Baudissin zur NATO nach Paris
"wegzubefoerdern" mit der Sorge Gumbels, Baudissin koennte zu viel
Unruhe in die Bundeswehr bringen.
De Maizière bestaetigt im Gespraech //... das war
später
auch immer einer der
Vorwürfe, die man ihm (B.) und seinem Konzept gemacht hat, dass
man
gesagt hat: „Der ist ja seit Herbst 1941 nicht mehr im Krieg
gewesen, der weiß ja überhaupt gar nicht, was Krieg
ist und was in Russland ist.“ Er hat auch gelitten unter diesem
Vorwurf, denn er konnte ja nichts dafür. Ich glaube, dass
trotzdem das Konzept richtig war. Ich habe mich ja auch ganz
identifiziert damit. Aber es war natürlich ein möglicher
Angriffspunkt für ihn. //
Es kommt die Bezeichnung "neu-konservativ" in Anwendung auf Baudissin
zur Sprache, was de Maizière so auslegt, dass Baudissin zwar
sehr konservativ im besten preussischen Sinne gewesen sei, vor allem
sehr individualistisch und heftig anti-kollektivistisch, aber eben
nicht rueckblickend, sondern immer vorausblickend, von konservativer
Basis den Blick auf die kommenden Herausforderungen gerichtet, nicht
Vergangenheiten verklaerend und betrauernd.
Zum Dilemma der Aufbaujahre der Bundeswehr vgl. : Franz Knipping und
Klaus-Jürgen Müller (Hgg.) : "Aus der Ohnmacht zur
Bündnismacht. Das Machtproblem in der Bundesrepublik Deutschland
1945 - 1960", Paderborn 1998 (Vlg. Schöningh, Sammlung
Schöningh zur Geschichte u. Gegenwart).
Es ist bei der Auswertung des Nachlasses deutlich geworden, dass
Graefin von Baudissin, die ein ausgepraegtes Sprachgefuehl hatte, bei
den mehr offiziellen Schriften als aktive Lektorin, wenn auch sicher
nicht als "Ghost-Writerin", zur Lesbarkeit dieser Texte beigetragen
hat. Baudissin konnte zwar gut und vor allem praezise formulieren (vgl.
das Beispiel aus der Diskussion in FN 11 oben), war aber, wie die
meisten
Fachleute, fuer ein breiteres Publikum oft schwer verstaendlich. Das
Lektorat von Graefin Baudissin hat also sicher dazu beigetragen,
Baudissins Schriften von allgemeinerer Bedeutung lesbarer zu machen und
dadurch auch die Sache, um die es ging, zu foerdern. Fuer eine
Ghost-Writerin haette sie sich aber selbst die Kompetenz abgesprochen.
FN 14.2 : Zum "Wegloben" Baudissins nach Paris 1961
In dem Interview mit Bernd C. Hesslein (s.o., FN 14.1.2) sagt Baudissin
ausdruecklich,
dass ihn sein kommandierender General fuer den Aufbau der Brigade in
Goettingen, die ja als Test fuer Baudissin und sein Fuehrungs-Konzept
gedacht
war, gelobt habe, und dass damit die Brauchbarkeit seiner Ideen
wohl erwiesen sei. Es hat Baudissin daher sehr gekraenkt, dass
er gleich anschliessend nach Paris zur NATO "fortgelobt" wurde, statt
in
eine Schluesselstelle fuer den weiteren Aufbau der Bundeswehr berufen
zu werden. Er empfand die Entscheidung als den Sieg seiner Gegner. Aus
heutiger Sicht erscheint diese Reaktion unnoetig, aber damals (1961),
gegen Ende der Adenauer-Aera, konnte Baudissin noch nicht wissen, dass
es bald (ab 1969) SPD-Regierungen und SPD-Verteidigungsmisnister
(Schmidt, Leber, Apel) geben wuerde, die sein Programm unterstuetzten,
und
dass auch General Ulrich de Maizière sich als Generalinspekteur
fuer
sein Leitbild vom "Staatsbuerger in Uniform" engagierte. Ausserdem gab
es auch in der CDU/CSU Unterstuetzung fuer diese Idee.
FN 14.3 : Zu Marion Graefin zu Doenhoff (ZEIT)
Die Familien Dohna und Doenhoff, Besitzer grohsse Gueter, sind in
Ostpreussen benachbart gewesen, "man kannte sich". Dagmar zu Dohna,
Baudissins spaetere Frau, war schon als Kind mit Marion Graefin zu
Doehnhoff in Ostpreussen befreundet. Graefin Doenhoff, hat auch dazu
beigetragen, in Hamburg einen Lehrauftrag fuer Baudissin und "sein"
Institut in Blankenese durchzusetzen. Sie fand,
dass Baudissin Gelegenheit haben sollte, seine Erfahrungen bei der
Bundeswehr und bei der NATO an Studenten der Politologie und Geschichte
- Faechern, an denen Baudissin sowieso immer schon interessiert war -
weiterzugeben. Damit hatte sie zugleich die fuehrenden deutschen
Presseorgane und Redaktionen im Blick, die entsprechend
ausgebildete Politologen suchten.
[15]
Zum Autor :
Autor und
Redakteur dieser Seite ist Dr.
Hubertus
Fremerey aus Bonn, ein Industriephysiker mit starken
historischen und politischen Interessen. Als Neffe von Graefin
Baudissin hatte ich in den 20 Jahren von 1972 bis 1991 regelmaehssig
mehrmals im
Jahr Gelegenheit, Baudissins fuer einige Stunden in ihrer
Hamburger Wohnung zu besuchen. Zwar kamen immer auch private Dinge zur
Sprache, doch uberwiegend sprach man ueber historische, politische, und
strategische Themen. Diesen Umstaenden entsprechend betreffen die
Notizen auch vor allem diese Hamburger Epoche in Baudissins Leben.
Ueber die Zeit "vor Hamburg" bin ich nur vage und aus Hinweisen und
Buechern informiert. Insbesondere war ich weder der Bundeswehr noch der
Politik oder der Politologie jemals fachlich zugeordnet. Dafuer hatte
ich als Physiker aber leichten Zugang zum Verstaendnis der
technischen Aspekte moderner militaerischer Fuehrung und Strategie.
Der angedeutete Hintergrund erklaert auch, warum der vorliegende Text
ein Bericht ist und keine Kurzbiographie. Dennoch stellt sich innerhalb
von 20 Jahren und nach so vielen Gespraechen ein Gefuehl dafuer ein,
wie jemand denkt und welche Aussagen ueber die Person glaubwuerdig
sind. Es war daher ein Ziel dieser Darstellung, das Bild von Baudissins
vor Entstellungen zu bewahren durch Leute, die Baudissins persoenlich
nicht oder nur fluechtig gekannt haben.
Zur Schreibweise : Viele Browser haben Probleme mit deutschen
Umlauten und ß. Da ich viel auf englisch zu schreiben habe und
nicht staendig die Einstellungen umschalten will, habe ich mir einen
Schreibstil angewoehnt, der die Umlaute und das ß vermeidet. Aber
das Ausmahss eines Ungluecks hat nichts mit einer Masse zu tun, deshalb
habe ich das schon zu Zeiten von Lessing und Goethe bekannte Dehnungs-h
wieder eingefuehrt. Weshalb hat man das ueberhaupt abgeschafft?
Dieser
Text ist nicht abgeschlossen. Fuer Einwaende und
Verbesserungsvorschlaege bin ich daher immer dankbar. Bitte
schreiben Sie mir
dann per e-mail an howa@fremerey.net, Es koennen
auch Bilder und Texte mit Angabe von
Autorschaft und Copyright der Einsender hier eingebaut werden. Das
wird jeweils per e-mail zu verhandeln sein.
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